Zwischen Rhythmus, Raunächten und Ramadan
Ihr seid seit rund zwölf Jahren verheiratet – wie habt ihr zueinandergefunden?
Ferzan Önder: Übers Musizieren. Unsere Agenturen haben ein gemeinsames Konzert gebucht. Wir haben uns dann zur Probe getroffen – es war der berühmte erste Blick.
Martin Grubinger: Das war auf dem Badeschiff am Wiener Donaukanal. Ferzan ist zu spät gekommen und hat nur noch die Zugabe von mir gehört. Ich habe sie gesehen, und es war mir sofort klar – 24 Stunden später bin ich bei ihr eingezogen.
Ferzan: Er hatte nicht viel Zeit – drei Tage später musste er schon wieder nach Amerika weiterreisen. (Lacht.)
Martin, du bist am Land in Salzburg aufgewachsen, bist katholisch sozialisiert. Ferzan, du stammst aus der Türkei und bist Muslimin. Wie funktioniert denn so ein Familienleben im Zeichen von zwei unterschiedlichen Kulturen?
Ferzan: Ich bin in einem für türkische Verhältnisse eher modernen Familienumfeld aufgewachsen und bin auch schon sehr lange in Österreich. Eigentlich glaube ich, dass ich mehr Österreicherin bin als die beiden! Für Noah ist es sicherlich spannend: In der Türkei ist er ein richtiger Türke, in Österreich ganz Österreicher. Wenn Österreich bei der Qualifikation zur Fußball-WM ausscheiden sollte, hält er zu den Türken.
Noah: Stimmt! (Lacht.)
Noah (11) kommt in Sachen Schlagzeug und Schlagfertigkeit ganz nach seinem Vater. |
Noah, du hast mir erzählt, dass du vor zwei Jahren getauft wurdest und dass dir deine Eltern freie Wahl gelassen haben. Hat dein Papa überzeugende Argumente für die christliche Taufe vorgebracht?
Noah: Es war auf keinen Fall so, dass mich irgendwer dazu überreden wollte. Der Papa hat von Anfang an gesagt, dass es meine eigene Entscheidung ist. Ich wollte halt schon gern bei der Erstkommunion dabei sein.
Martin: Die Uroma von Noah war total enttäuscht, dass wir ihn nicht sofort haben taufen lassen. Aber ich finde, es steckt eine ganz andere Kraft dahinter, wenn die Taufentscheidung selbständig getroffen wird. Durch Noahs Taufe habe auch ich ein bisschen in den Schoß der Kirche zurückgefunden.
Der biblische Noah spielt sowohl im Islam als auch im Christentum eine wichtige Rolle. Der Versuch eines Brückenschlags?
Martin: Das stimmt, diese Namenswahl ist kein Zufall. Noahs Zweitname ist übrigens Can, das ist Kurdisch.
Wird bei den Grubingers sowohl Weihnachten und Ostern gefeiert, als auch der Ramadan begangen?
Ferzan: Nein, dafür bin ich ein bisschen zu faul. (Lacht.) Als Kinder haben meine Schwester und ich ständig nur Klavier geübt – unsere Eltern meinten: „Ihr müsst nicht auch noch fünfmal am Tag beten, wichtig ist es, ein guter Mensch zu sein.“ Noah kennt somit die islamischen Feste leider nicht wirklich gut, aber irgendwann – wenn wir mehr Zeit haben – werden wir sie feiern.
Martin: Für uns ist Weihnachten ohne all die Bräuche unvorstellbar: die Raunächte zum Beispiel mit dem Rosenkranzbeten, da gehen wir mit Weihrauch durchs Haus, der Opa geht vor und betet vor. Wir sind da schon eher traditionell, aber das ist etwas, was wir total brauchen. Wenn die Heiligen Drei Könige kommen, schlägt bei Ferzan die türkische Gastfreundschaft durch. Caspar, Melchior und Balthasar sind, glaube ich, sehr gerne bei uns zu Besuch.
Martin Grubinger ist Schlagzeuger und Multi-Percussionist. Vor allem an der Marimba gilt er als einer der Besten der Welt. Fast gleich berühmt ist er mittlerweile für sein gesellschaftliches Engagement gegen Fremden-feindlichkeit und Intoleranz. Zur Diakonweihe eines langjährigen Familienfreundes fanden sich die Grubingers beim Linzer Mariendom ein – und Martin übernahm die musikalische Gestaltung der Messe. |
Martin, du hast gesagt, dass du durch Noahs Taufe wieder zur Kirche zurückgefunden hast. Heißt das, du hast dich zwischenzeitlich von ihr entfernt?
Martin: Ja, klar. Wegen der Dinge, die halt vorgefallen sind. Sei es die mangelnde Aufarbeitung der Rolle der Kirche im Dritten Reich oder auch die gesamte Missbrauchsdebatte – hier hätte die Kirche schneller Fortschritte machen müssen, das gilt auch für das Frauenthema. Gleichzeitig bin ich aber verliebt in die Kirchenhistorie – ohne die Kirche wäre die Musikgeschichte undenkbar.
Du giltst als Künstler, der sehr oft zu gesellschaftlichen Problemen Stellung bezieht und sich gegen Ausgrenzung und Fremdenhass einsetzt. Wie bist du zu so einem sozial engagierten Menschen geworden?
Martin: Das waren ganz bestimmt meine Eltern. Wir haben zu Hause immer viel diskutiert, uns damit auseinandergesetzt, unter welchen Bedingungen Stücke entstanden sind. Die Musik eines Schostakowitsch zum Beispiel wäre ohne Stalin undenkbar. Oder ein Mozart ohne Kaiser. Natürlich mache ich mir auch über die heutigen politischen Verhältnisse Gedanken.
Würdest du die Werte, für die du dich einsetzt, als christliche Werte bezeichnen?
Martin: Absolut. Für mich bedeutet Kirche Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Menschlichkeit, Fürsorge. Ab 2015 hat Hassan, ein syrischer Flüchtling aus Aleppo, eineinhalb Jahre bei uns zu Hause gewohnt. Wir haben einem Menschen, der über die Balkanroute aus Syrien geflüchtet ist, tatsächlich helfen können, bis er seine Familie nachholen konnte. Und ich finde, das war das Schönste, was wir – seitdem wir verheiratet sind – getan haben. Schöner noch als all die gemeinsamen Konzerte.
Ferzan: Hassan war in Neukirchen an der Vöckla, wo wir wohnen, auch sehr beliebt. Die Freunde von Noah haben oft ange rufen und gefragt, ob Hassan zu Hause ist. Durch ihn hat die ganze Ortschaft einen echten Bezug zu Syrien bekommen.
Martin: Er war vermutlich der beliebteste Neukirchner. (Lacht.) Zuerst haben ihn die Schlagzeuger aus der Blasmusik noch etwas skeptisch beäugt, doch zwei Stunden später sind wir schon alle bei einem Bier zusammengesessen und haben gemeinsam musiziert. Später hat er sogar unseren Dialekt übernommen. Alle waren traurig, als er ging. Nachdem seine Kinder nachgekommen waren, sind sie nach Leibnitz gezogen. Hassan hat sich dort eine kleine Kfz-Werkstatt aufgebaut, die Älteste geht in die Schule und hat nach einem halben Jahr perfekt Deutsch gesprochen. Die Familie lebt dort in Sicherheit und in Frieden.
Bei uns sind in den letzten Jahren wachsende Ressentiments gegenüber dem Islam zu beobachten gewesen – ist das etwas, was ihr auch spürt?
Ferzan: Je nach politischer Lage, die gerade vorherrscht. Als ich mit meiner Schwester 1985 nach Wien gekommen bin, gab es das Problem eigentlich nicht. Später wurde meine Schwester mal mitten auf der Kärntner Straße attackiert, weil sie mit mir Türkisch am Telefon gesprochen hat. Die Ausländerproblematik ist da, das weiß ich. Ich selbst fühle mich in Österreich sehr wohl, es ist ja meine Heimat geworden.
Martin: Ich bin in den 1990er-Jahren aufgewachsen und habe Jörg Haider erlebt. Österreich zuerst und so. Spätere Politiker haben diese Linie übernommen. Wir sind so nicht – davon bin ich überzeugt. Ich bin ganz sicher, dass wir anders sind. Wir haben 1956 hunderttausende Ungarn als Flüchtlinge aufgenommen. In den 90ern gab es „Nachbar in Not“. Wir haben immer wieder bewiesen, dass wir zu christlich-sozialem Handeln und Nächstenliebe fähig sind. Aber immer wieder lassen wir es auch zu, dass uns dieses Gift der Abgrenzung verabreicht wird.
Noah: Man sieht das ja auch auf den Wahlplakaten. Da steht auf manchen: „Unser Land, unsere Regeln.“ Es ist zwar unser Land, aber unsere Regeln sollten es sein, anderen eine Chance zu geben, die es schwieriger haben als wir.
Ferzan Önder ist eine international renommierte Pianistin. Sie wuchs in einem Dorf in der Nordtürkei auf und kam 1985 mit ihrer Zwillingsschwester zum Studieren nach Österreich, wo sie mittlerweile eine zweite Heimat gefunden hat. |
Noah – du lernst ja gerade mehrere Instrumente, dein Lieblingsinstrument ist aber das Schlagzeug, oder?
Noah: Ja, ich habe auch schon an einem Wettbewerb teilgenommen. Ich nehme beim Opa Schlagzeugunterricht, seitdem ich fünf bin, davor habe ich schon zu Hause aufs Sofa getrommelt. Derzeit gehe ich in die Musikschule und spiele auch begleitend zu Rock oder zu Songs von Bruno Mars.
Wie macht sich denn Noah als Drummer?
Ferzan: Ich kann das nicht so gut beurteilen, aber Martin sagt, dass Noah ein super Talent ist. Ein bisschen mehr Fleiß wäre noch notwendig. (Alle lachen.)
Noah hat mir vorhin verraten, dass du dich auch sehr für die Taufe interessiert hast.
Ferzan: Schon. Als ich nach Österreich kam, wollte ich natürlich wissen: Wo bin ich, was ist das für eine Religion? Der Stephansdom hat mich immer fasziniert. Dass schon vor hunderten von Jahren diese tollen Kirchen gebaut wurden, ähnlich wie die Camis, unsere Gebetshäuser in der Türkei. Meine Schwester und ich haben sehr oft in Kirchen musiziert – die Kirche ist für mich also auch ein Stück Zuhause. Im Islam sind die Frauen noch ein bisschen Außenseiter, sie dürfen nicht zusammen mit Männern beten – das finde ich nicht gut.
Martin: In meiner Jugendzeit sind in der Kirche im Thalgau die Frauen noch links gesessen und die Männer rechts.
War die Heirat mit einem Christen kein Problem in deiner Familie?
Ferzan: Meine Oma hat einmal gesagt: „Du kannst heiraten, wen du willst, egal, welcher Religion er angehört. Wichtig ist, dass du verliebt bist. Dann ist es sogar in Ordnung, wenn es ein Grieche ist.“ (Alle lachen.)
Martin: Das war dann die absolute Absolution! Wir würden gerne auch kirchlich heiraten. Das war bisher leider nicht möglich.
Martin, du bist einer der weltbesten Schlagzeuger. Da steckt sehr viel Fleiß dahinter, du hast aber auch wirklich eine gehörige Portion Talent in die Wiege gelegt bekommen. Siehst du das als Geschenk?
Martin: Ja, total. Ich komme aus einer Familie, die ganz klar dem Arbeitermilieu zugerechnet werden kann. Mein Opa war bei der Straßenmeisterei, meine Oma war Hilfskraft in der Küche einer Gastwirtschaft im Thalgau. Meine Großeltern waren also klassische Hackler – und ich bin stolz drauf. Deswegen ist es wichtig, dass man was zurückgibt.
Bist du eigentlich jemals als Straßenmusiker aufgetreten? Ich könnte mir vorstellen, dass du dort mit demselben Einsatz auftreten würdest wie in den Konzertsälen dieser Welt.
Martin: Das ist schon vorgekommen – ein harter Job! Ich habe mich mal fürs Fernsehen als Straßenmusikant verkleidet. Hier in Linz muss man bei der zuständigen Behörde im Rathaus ein Hearing machen, um auftreten zu dürfen. Man hat das mit versteckter Kamera gefilmt. Der Beamte hat gemeint: „Na, so gut wie der Grubinger bist du zwar nicht, aber das passt schon, wie du spielst.“ (Lacht.)
Du willst mit 40 deine Karriere beenden. Was kommt danach? Wirst du in der Blaskapelle deines Ortes trommeln?
Martin: Ich wollte immer Geschichte studieren, aber das muss ich noch etwas verschieben. Ich arbeite gerade an der Entwicklung einer Musik-App, die Ende 2022 starten soll. Das wird eine große Sache!
Ferzan, freust du dich schon auf die Zeit, wenn Martin öfter zu Hause ist und nicht mehr permanent um die Welt jettet?
Ferzan: Wahrscheinlich wird er trotzdem nicht viel zu Hause sein. (Lacht.)
Noah, willst du abschließend noch was loswerden?
Noah: An alle Erwachsenen da draußen: Machts was Gscheits und nehmts die Menschen mit ins Boot, anstatt sie auszugrenzen! ♦
Das Interview erschien erstmals in "Grüß Gott! – Magazin über Gott und die Welt", herausgegeben von der Katholischen Kirche in Oberösterreich, im Herbst 2021.