Auf ein Gespräch mit Papa
Ich besuche Mama und Papa alle drei Wochen einmal. Nur im Sommer, wenn es heiß ist und man das Grab bewässern muss, komme ich öfter. Die Grabpflege – also Blumen setzen, gießen, Unkraut jäten – ist mir wichtig. Ich finde, das ist eine Frage der letzten Ehre, die man den Verstorbenen erweist. Den richtigen Blumenschmuck auf dem Barbarafriedhof zu finden ist eine Herausforderung, denn es gibt hier viele Hasen. Margeriten und Chrysanthemen sind ungeeignet, deren Blüten fressen die Hasen sofort auf. Lavendel mögen die Hasen nicht.
Für mich ist der Friedhof ein Ort der Kommunikation, für Gebete und Gespräche mit den Toten. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich am Grab stehe und sage: „Hallo Papa, heute ist mir etwas Tolles gelungen!“
Thomas Forster
Stille in der Stadt: Zwischen Bahngleisen und viel befahrenen Straßen gelegen, ist er ein willkommener Ruhepol: der Linzer St. Barbara Friedhof. (Ausschnitt) |
Es tut den Menschen gut zu wissen, wo ihre Toten bestattet sind. Die letzte Ruhestätte ist ein Ort des Gedenkens und des Erinnerns. Am Grab kann man Schmerz und Verlust überwinden, und oft ist Grabpflege auch eine Form der Trauerarbeit.
Schon im frühen Christentum war es üblich, verstorbene Menschen zu bestatten. Rund um Kirchen und heilige Plätze errichtete man Grundstücke, die man „einfrieden“ ließ, also mit einer Mauer oder einer Hecke umgab. Daher stammt der Name Friedhof. Die Nähe zu Gotteshäusern hatte zwei Gründe: Der Verstorbene sollte erstens Teil der Gemeinde bleiben und zweitens am Tage der Auferstehung möglichst nahe bei seinem Herrn sein. Das Grab wurde nur als vorübergehender Aufenthaltsort verstanden. So ist der Friedhof im Christentum eine Stätte der Trauer, aber auch der Hoffnung: Das Leben siegt über Dunkelheit und Tod und mündet in ein Weiterleben im Jenseits.
Das "Grüß Gott"-Magazin hat sich auf dem St.-Barbara-Friedhof in Linz umgehört.
Das Leben siegt über Dunkelheit und Tod und mündet in ein Weiterleben im Jenseits.
Der Friedhof als Kraftplatz
Ich bin immer schon gerne auf den Friedhof gegangen. Die Ruhe und die vielen Bäume haben eine positive Wirkung auf mich. Manchmal treffe ich mich hier sogar mit einer Freundin. Letztens war ich vier Stunden lang auf dem Friedhof. Hier liegt auch mein geliebter langjähriger Partner. 14 Jahre waren wir zusammen. Er starb völlig unerwartet an einer Lungenembolie und Herzversagen. Ich habe ihn tot im Schlafzimmer gefunden. Er war erst 46 Jahre alt.
Die ersten drei Jahre kam ich jeden Tag zu seinem Grab. Das hat mir gutgetan und war meine Form der Trauerbewältigung. Anfangs habe ich ihm jeden Tag erzählt, was ich erlebt habe, aber das hat sich im Lauf der Zeit aufgehört. 15 Jahre ist sein Tod mittlerweile her. Weil seine Mutter schon 85 Jahre alt ist, liegt es an mir, mich um sein Grab zu kümmern. Und das mache ich sehr gerne.
Rosemarie Spießberger
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Das Grab gibt Trost
Ich stehe vor dem sogenannten Kindergrab auf dem St. Barbara Friedhof. Hier finden Kinder, die im Mutterleib oder nach der Geburt sterben, ihre letzte Ruhe. So eine Gedenkstätte gibt es in meiner Heimat im Mühlviertel leider nicht.
Mein großer Traum war es immer, einmal Mutter zu werden. Vier Mal trug ich ein Kind im Bauch. Keines der Babys hat die Schwangerschaft überlebt. Die Ärzte sagten, ich hätte zu viele Thrombozyten im Blut. Ich musste blutverdünnende Mittel schlucken und spritzen. Dennoch kamen meine Kinder tot zur Welt und landeten im Krankenhaus im Müll. Erst ab einem gewissen Gewicht gibt es die Pflicht, sie bestatten zu lassen. Aber das Schlimmste für mich ist: Ich bin kinderlos geblieben, ich durfte nicht Mutter werden. Oft bin ich deshalb traurig und wütend.
Wenn ich hier an dem Kindergrab stehe, spüre ich: Anderen geht es so wie mir, die haben das auch durchgemacht. Das gibt mir Halt und Trost.
Renate Höglinger
Geteiltes Leid. „Wenn ich am Kindergrab stehe, spüre ich: Anderen geht es so wie mir.“ Renate Höglinger |
Aus Liebe zu den Verstorbenen
Der Friedhof ist ein wichtiger Ort für mich geworden. Mittlerweile betreue ich drei Gräber, die ich zwei- bis dreimal pro Woche besuche. Ich komme aus Liebe zu meinen Eltern und meiner Frau auf den Friedhof. Ich bete ein Vaterunser, spreche mit den Verstorbenen und gieße die Blumen. Im Christentum gibt es die Tradition, die Grabstelle in Ordnung zu halten – und das wird auch in tausend Jahren noch so sein. Ein Besuch auf dem Friedhof beruhigt mich. Im Lärm der Großstadt ist er ein Ort der Erholung und der Besinnung. Er zeigt, dass unsere Verstorbenen nicht vergessen sind und im Gedenken weiterleben. Leben und Tod gehören zusammen, auch wenn der Verlust eines lieben Menschen nur sehr, sehr schwer verkraftbar ist.
Helmut Nopp
Gedenken. „Der Friedhof zeigt, dass unsere Verstorbenen nicht vergessen sind.“ Helmut Nopp |
Gedanken an schöne Zeiten
In dem efeubewachsenen Familiengrab liegen mein Opa, meine Oma und meine Mama. Für mich ist dies kein Ort der Trauer mehr, sondern ein Ort der Erinnerung. Mama wollte immer mit 80 Jahren sterben, und 14 Tage vor ihrem Geburtstag ging ihr Wunsch in Erfüllung. Damals war sie schon schwer krank. Am Grab denke ich an die schöne Zeit mit ihr zurück, vor allem an meine glückliche Kindheit. Mama war für meine zwei Geschwister und mich da, sie ging nicht arbeiten und hatte immer Zeit für uns. Bevor ich das Grab verlasse, bete ich jedes Mal: „Hilf bitte allen, die einen Odem, einen Atem, und eine Seele haben.“
Eva Reitner
Ort der Erinnerung. „Am Grab denke ich an die schöne Zeit mit meiner Mama zurück, vor allem an meine glückliche Kindheit.“ Eva Reiter
Dieser Text ist in "GRÜSS GOTT! – Das Magazin über Gott und die Welt" in der Ausgabe Herbst 2020 erschienen. Das Magazin wird von der Diözese Linz zwei Mal im Jahr herausgegeben. |