Der Rosenkranz: Wenn Worte wegbleiben
Hier bin ich wieder, Sie erinnern sich vielleicht. Ich bin der, der das Lied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ zu seinem persönlichen Gebet auserkoren hat – hier nachzulesen! Seit ich das getan habe, überrascht es mich immer wieder, das Gebet, meine ich. Es fällt mir beim Butterbrotstreichen für meinen Sohn ein, ich summe es in Gedanken bei langen Bahnfahrten oder brülle es auf dem Motorrad in den Wind. Aber immer denke ich dabei an Gott. Mein Gebet wirkt. Den Weg hat mir Seelsorgerin Irmgard Lehner gewiesen. Mit ihr habe ich auch über den Rosenkranz gesprochen. „Für viele Menschen hat dieses Gebet besondere Kraft. Sie schätzen es in Situationen, wo einem die Worte wegbleiben, weil nichts mehr zu sagen ist.“
Maria als Überbringerin des Rosenkranzes
Wer über die Ursprünge des Rosenkranzgebets nachliest, bekommt keine eindeutigen Antworten. Man erfährt, dass seine Anfänge in der Zeit des Hochmittelalters liegen, also zwischen 1050 und 1250. Vornehme Damen wurden damals von ihren Verehrern mit Minneliedern besungen. Diese Lieder wurden auch „Rosarium“ genannt. Dass der Begriff später auf die Gebetskette übertragen wurde, überrascht nicht, stehen Rosen doch symbolisch für Maria, die Mutter Gottes.
Einer Legende nach soll der heilige Dominikus (vermutlich 1170 bis 1221) die bis heute gültige Form des Rosenkranzes 1208 bei einer Marienerscheinung empfangen haben. Erzählt wird, dass Maria ihm den Rosenkranz als Waffe im Kampf gegen die damals als Ketzer geltenden südfranzösischen Albigenser geschenkt habe. Eine andere kriegerische Auseinandersetzung ist der Grund, weshalb der Oktober der Rosenkranz-Monat ist. Am 7. Oktober 1571 in der Meerenge von Lepanto (im heutigen Griechenland) standen einander 260 osmanische Schiffe und 211 Schiffe der von Papst Pius V. gegründeten Flotte der „Heiligen Liga“ gegenüber. Wider Erwarten siegte die „Liga“. Zurückgeführt wurde das auf das Rosenkranzgebet, das Bruderschaften während der Schlacht beteten. Pius V. ordnete deshalb für den ersten Jahrestag des Sieges ein Rosenkranzfest zu Ehren der Gottesmutter Maria an.
Beten mit Omas Rosenkranz
Ich beschließe, es mit dem Rosenkranz zu versuchen. Allerdings habe ich keinen. Erste Idee, um Abhilfe zu schaffen: eine Online-Bestellung. Tatsächlich werde ich rasch fündig. Ich mache einen „Nazareth Store“ ausfindig, in dem Rosenkränze feilgeboten werden, die in Bethlehem, der Geburtsstadt Jesu, handgefertigt wurden.
Während ich gustiere, erinnere ich mich, dass meine Mutter einen Rosenkranz hatte. Wenig später stehe ich vor ihrer Tür. Sie drückt mir ein kleines rotes Ledertäschchen in die Hand. Darin befindet sich der Rosenkranz meiner Oma. Sie war eine gläubige Frau. So gläubig, wie man nur sein kann, wenn man auf dem Land aufgewachsen ist, wo trotz Krieg und bitterer Not Gott eine Selbstverständlichkeit war. Wie alt die Kette ist, weiß meine Mutter nicht, „mehr als sechzig Jahre auf jeden Fall“.
Wie alle Rosenkränze hat er ein Kreuz und 59 Perlen, dazu (und das ist nicht üblich) ein kleines Herz. Was darauf geprägt ist, kann ich auch mit einer Lupe nicht erkennen. Das Kreuz steht für das Glaubensbekenntnis, die einzelnen Perlen für ein „Vaterunser“, jede der zu einer Dreier- beziehungsweise fünf Zehnergruppen kombinierten Perlen für ein „Gegrüßet seist du, Maria“. Ich lege den Kranz um mein linkes Handgelenk, greife mit der Rechten nach dem Kreuz – Glaubensbekenntnis, „Vaterunser“, drei „Gegrüßet seist du, Maria“, wieder ein „Vaterunser“.
Es ist, als würde ich meditieren. Gedanken ziehen vorbei und dürfen wieder verschwinden.
Langsam taste ich mich vorwärts. Ich spreche ruhig, versuche jedes Wort deutlich zu artikulieren, weil mich früher das kaum verständliche Rosenkranz-Gemurmel genervt hat. Ich bin überrascht, wie schnell die ersten zehn „Gegrüßet seist du, Maria“ vorüber sind. Während ich bete, überlege ich, ob diese Huldigung Marias vielleicht sogar perfekt in unsere Zeit passt. Schließlich war sie eine starke Frau. Und bei genauer Betrachtung wäre ohne sie wohl alles anders verlaufen. „… gekreuzigt, gestorben und begraben“, sage ich. Ich denke an die Kreuzweg-Gemälde in der Kirche meiner Jugend und an eine ähnliche Serie, die ich erst kürzlich in einem anderen Gotteshaus gesehen habe. Und ich erinnere mich, dass sie mir unheimlich waren. Es ist, als würde ich meditieren. Gedanken ziehen vorbei und dürfen wieder verschwinden. Mir fällt ein, dass meine Großmutter Maria hieß. Ich weiß noch, wie ich mich von ihr verabschiedete. Ich hob das Leintuch, mit dem sie zugedeckt war. Sie hatte die Augen geschlossen, und natürlich wusste ich, dass es für immer war. Ich schaute sie an, wortlos. Manche Pilger messen die Entfernung in Rosenkränzen. Zwei bis drei Kilometer sind ein guter durchschnittlicher Wert für einen „Durchgang“. Ich habe knapp 30 Minuten gebraucht. Ich weiß das, weil ich mein Gebet aufgenommen habe (schließlich sollte ich berichten). Als ich die Aufnahme anhöre, fällt mir auf, dass ich von Minute zu Minute leiser werde. Ich spreche schneller, undeutlicher. Ich klinge wie ein anderer. Scheine zunehmend zu versinken.
Gegrüßet seist du, Maria,
voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit
unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht
deines Leibes, Jesus.
Heilige Maria, Mutter Gottes,
bitte für uns Sünder,
jetzt und in der Stunde
unseres Todes.
Amen.
Die Kanten der Perlen nehme ich längst nicht mehr wahr. Ich taste mich durch die Gebete, manchmal stoßen meine Fingerkuppen aneinander. Anfangs fühlt sich das an, als würde ich stolpern, später fällt es mir gar nicht mehr auf. Ein neuer Gedanke: Es hätte geholfen, den Rosenkranz meiner Großmutter in Händen zu halten, schon damals, als ich sie zum letzten Mal sah.
WIE DER ROSENKRANZ GEBETET WIRD
Am Beginn steht ein Kreuzzeichen.
Danach folgt das Glaubensbekenntnis.
Große Perlen (oder in meinem Fall einzelne Perlen) stehen für ein
„Vaterunser“, kleine Perlen für ein „Gegrüßet seist du, Maria“. Nach
den ersten drei kleinen Perlen wird jeweils nach dem Namen „Jesus“
eine Bitte angefügt: „… der in uns den Glauben vermehre“, nach der
zweiten Perle „… der in uns die Hoffnung stärke“, an der dritten „… der in uns die Liebe entzünde“.
An jeder weiteren großen Perle wird ein „Vaterunser“ gebetet, an jeder weiteren kleinen Perle (in Zehnergruppen, den sogenannten „Gesätzen“)
wird ein „Gegrüßet seist du, Maria“ gebetet und nach dem Namen „Jesus“ eines der fünf „Geheimnisse“ eingeführt. Die Geheimnisse bezeichnen unterschiedliche Formen des Rosenkranz-Gebetes. Es gibt „freudenreiche“, „lichtreiche“, „schmerzhafte“, „trostreiche“ und „glorreiche Geheimnisse“.
„Glorreiche Geheimnisse“ als Beispiel:
† Der von den Toten auferstanden ist.
† Der in den Himmel aufgefahren ist.
† Der uns den Heiligen Geist gesandt hat.
† Der dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat.
† Der dich, o Jungfrau, im Himmel gekrönt hat.
WOLFGANG WIESER schreibt, um die Welt zu verstehen. Und dabei stellt
er besonders gern einfache Fragen.
Der Artikel erschien erstmals in "Grüß Gott! – Magazin über Gott und die Welt" im Herbst 2023. Alle Ausgaben zum Durchblättern: GrüßGott - Das Magazin der Katholischen Kirche in Oberösterreich (dioezese-linz.at)