„Tänzer sind die Athleten Gottes“
Sie wird SILK genannt. Silk wie Seide, jener leichte und glatte Stoff, den man auf der Haut kaum spürt. Aber Silke Grabinger, 38, ist nicht wie Seide – und der Name nur eine Kurzform. Der Stoff, aus dem diese Frau gemacht ist, den hat sie selbst entworfen, selbst gewoben, und er ist wunderbar wandelbar. Wir treffen SILK bei den Vorbereitungen für einen Tanzworkshop. Silke Grabinger ist immer in Bewegung und ruht dabei doch in sich selbst. Wie es dazu kam?
„Wenn ich in den Spiegel schauen und mich auf den Moment konzentrieren kann – dann bin ich erfolgreich.“ |
Liegt die Liebe zur Kunst in der Familie?
Meine Eltern wollten beide künstlerische Berufe einschlagen, mein Papa wollte Grafikdesigner werden, meine Mutter hat sich am Anton Bruckner Konservatorium in Linz beworben. Das war aber dann für beide nicht möglich. Ich habe dann genau diese beiden Ausbildungen absolviert, eigentlich schräg. Mir ließen sie meine Freiheit, vielleicht auch, weil es gar nicht anders möglich gewesen wäre. Ballett zum Beispiel, das war recht schnell klar, war nicht so meine Sache. Und auch der Eiskunstlauf – obwohl ich wirklich gut war – hat mich nicht glücklich gemacht. Strenge Abläufe nach Schema F, das war nie meines. Ich möchte ständig tanzen, aber so, wie ich will! Das hat meine Laufbahn nicht unbedingt immer einfach gestaltet, zugegeben. Mittlerweile weiß ich auch, dass man sich alles hart erarbeiten muss, dass man die Regeln kennen muss, um sie zu brechen. Aber ich reagiere immer noch allergisch, wenn ich höre: so und nicht anders.
Eins zu sein mit allem, einfach mit der Welt mitzuschwingen, das hat eine wahnsinnige Kraft. Das ist für mich der ultimative Seelenfrieden.
Was war der Befreiungsschlag?
B-Girling, also weiblicher Breakdance. Da war plötzlich diese neue Kultur, der ich mit fünfzehn bei einer Veranstaltung in Linz begegnet bin. Eine Kultur, die Grenzen überschreitet und die Möglichkeit bietet, alle Bewegungen und alle Rhythmen zu kombinieren. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Nach der Matura hab ich zwar die Aufnahmeprüfung an der Bruckner Uni gemacht. Drei Monate später bin ich aber schon dank einer Förderung der Stadt Linz durch Europa getourt – um B-Girling zu lernen und selber zu lehren. So hatte ich die Möglichkeit, auf Battles zu gehen, Workshops zu besuchen und die Leute in der Tanzszene kennenzulernen. Das war der Grundstein für vieles, was danach kam.
Was kam? Silke Grabinger kam zum Tanztheater, etwa mit Projekten bei der Renegade Theatre Company, mit der sie durch Europa und Afrika tourte, oder dem Urban-Dance-Festival Pottporus in Deutschland. Bis Talentscouts vom Cirque du Soleil aus Montréal auf sie aufmerksam wurden. Plötzlich war sie Solokünstlerin im großen Cirque du Soleil. Eine harte Zeit, aber auch eine lehrreiche. Von 2006 bis 2008 tanzte Grabinger in der Cirque-du-Soleil-Produktion „The Beatles LOVE“ und arbeitete mit den Spitzen der internationalen Choreografie zusammen.
Wie war Ihre Zeit im Cirque du Soleil?
Schon das Casting war beeindruckend. Ich bin in diesem Proberaum gesessen, es kamen drei Männer rein, einer schaut mich an, sagt „It’s her!“ („Das ist sie!“) und geht wieder. Also bin ich los nach Las Vegas. Und habe 1.117-mal das gleiche Solo getanzt.
Sie haben doch vorher geschildert, dass Routine nicht unbedingt zu Ihnen passt …
Ich habe dort professionell arbeiten gelernt. Und zwar sehr schnell: Dort waren 65 Leute im Cast, die schon acht Monate zusammengearbeitet hatten – ich bin vier Monate vor dem Opening hin, habe alle Choreografien nachlernen müssen. Kurz nach der Premiere wurde ich auch noch für eine Luftakrobatik-Nummer trainiert. Wenn ich heute noch einmal vor der Entscheidung stünde, würde ich es wieder tun. Eine Riesenchance, aber doch auch wie Fabriksarbeit. Nach 500 Shows wird dir bewusst, dass die Leute wie Maschinen arbeiten und während der ärgsten Akrobatik-Nummer in Gedanken ihre Einkaufszettel durchgehen.
Danach kam sogar ein Angebot aus Hollywood. Warum sind Sie doch zurück nach Österreich?
Ich hätte als Assistentin eines großen Choreografen in Los Angeles beginnen können. Diese unglaublichen Talente stehen alle in einer Reihe und haben 30 Sekunden Zeit, um zu zeigen, was sie können. Und du sagst: nein, du nicht … du nicht … du schon – und das bin ich nicht. Da mache ich lieber meine eigene Company auf und fang bei null an, aber unter meinem Namen. Von allen Möglichkeiten, die sich nach dem Cirque ergeben haben, habe ich die am wenigsten lukrative gewählt, aber jene, die am nächsten bei meiner Familie war.
Ich schaffe es beim Tanzen, mich mehr in meiner Seele zu spüren – vor allem wenn ich mich mit dem, was um mich herum ist, verbinde.
Hat Tanz für Sie etwas Heilendes, vielleicht auch Spirituelles?
Wie heißt es so schön: Tänzer sind die Athleten Gottes. Tanz hat mich auf jeden Fall gerettet. Wenn man von klein auf gelernt hat, mit Disziplin und Struktur zu leben, war es heilend zu sehen, dass man daraus ausbrechen kann. Und zum Thema Spiritualität: Ich schaffe es beim Tanzen, mich mehr in meiner Seele zu spüren – vor allem wenn ich mich mit dem, was um mich herum ist, verbinde. Nicht nur mit den Menschen. Das kann im Endeffekt alles sein, was mich umgibt. Beim Wiener Kultursommer habe ich eine Performance gemacht, in der sehr viele hypnotische, rhythmische Elemente dabei waren. Da verbindest du dich so stark mit der Welt, dass du dich fast entkörperst. Eins zu sein mit allem, einfach mit der Welt mitzuschwingen, das hat eine wahnsinnige Kraft. Das ist der ultimative Seelenfrieden.
Was bedeutet Erfolg für Sie?
Für viele Tänzerinnen und Tänzer ist der Cirque die Endstation, aber ich wollte da ja gar nie hin, es ist mir einfach passiert. Es geht mir karrieretechnisch nicht darum, dass mich besonders viele Leute gesehen haben. Wenn ich in den Spiegel schauen kann und mich auf den Moment konzentrieren, ihn spüren kann – dann bin ich erfolgreich. Als ich damals angefangen habe, habe ich so sehr dafür gekämpft: für sich selbst einstehen, Wertschätzung bekommen. Das versuche ich weiterzugeben und arbeite darum gerne mit jungen Frauen, zum Beispiel beim Projekt „B-Girl Circle“. Ich brauche keine braven Schülerinnen und Schüler, ich war ja auch nicht brav. Ich habe versucht, kreative Lösungen zu finden, meinen eigenen Weg zu gehen, und dazu will ich auch die Kids animieren.
Aber nicht alle tun sich so leicht mit dem Tanzen. Wie kann man Menschen die Berührungsängste vor dem Tanz nehmen?
Jeder Mensch kann tanzen! Das ist einfach etwas, was in uns liegt. Es geht nur darum, wie sehr es gefördert wird. Tanz ist eine Möglichkeit, sich in seinem Körper zu finden und ihn gleichzeitig auch zu verlassen. Und die meiste Angst haben die Menschen ja nicht vor sich selbst, sondern vor der Reflexion im Außen. Bin ich schön genug, toll genug, bewege ich mich gut – aber wenn du in dir selbst ein bisschen Ehrlichkeit spürst, merkst du, dass es nicht darum geht, was das Außen mit dir macht. Dann kannst du zulassen, berührbar zu werden. Du kannst auch irgendwo herumstehen und in dir drinnen tanzen und keiner sieht es. Tanz ist überall und immer – in jeder Alltagsbewegung. ♦
Dieser Beitrag ist in einer Langversion im Magazin "Grüß Gott! - Das Magazin über Gott und die Welt" im Herbst 2020 erschienen. Das Magazin wird von der Diözese Linz herausgegeben und erscheint zwei Mal im Jahr.
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