„Jetzt ist es ein Stück leichter geworden“
„Telefonseelsorge, Notrufdienst. Guten Abend“, meldet sich Marianne S., als es läutet. Sie sitzt in einem kleinen Zimmer in der Nähe des Urfahraner Jahrmarktgeländes. Draußen zwitschert eine Amsel ihren Abendgesang. Sonst ist es still, denn Jahrmarkt ist keiner. „Ich habe mich so geärgert“, schnaubt ein Mann erbost aus dem Telefon. „Unsere Enkeltochter ist bei uns. Sie ist 13 und benimmt sich furchtbar respektlos. Ich habe ihr gesagt, dass das so nicht geht. Als ich jung war, habe ich mich nicht getraut, so mit meinen Großeltern zu reden. Aber meine Frau nimmt sie in Schutz. ‚Misch dich nicht ein, da kennst du dich nicht aus‘, hat sie gesagt. Nun sind sie weg, meine Frau und die Enkelin. Es ist spät. Am Handy hebt meine Frau nicht ab. Ich mach mir Sorgen. Wie kann meine Frau mich nur so an die Wand stellen? Und was soll heißen? Da kennst du dich nicht aus?“
Marianne S. weiß: Die Kunst ist, die richtigen Fragen zu stellen. Zuerst hört sie aufmerksam zu. Dann hilft sie dem Anrufer, seine Gedanken zu sortieren. Am Ende ist es die Beziehung zu seiner Frau, die ihn am meisten beschäftigt. Gar nicht so sehr der Generationenkonflikt. Er möchte von seiner Frau ernstgenommen werden, wissen und verstehen, warum sie sich auf die Seite der Enkelin stellt. Als ihm dies im Gespräch mit der Telefonberaterin klar wird, weiß er, wie er weiter vorgehen kann. „Manchmal finden Menschen beim Reden eine Lösung“, berichtet Marianne S. „Für andere ist es schon entlastend, dass jemand zuhört. Anonym und vertraulich.“ Auch S. Name kommt bei diesen Gesprächen nie zur Sprache.
Die Anrufenden könnten unterschiedlicher nicht sein – das betrifft Ausbildung und Herkunft als auch das Alter: „Manche sind arbeitslos. Andere arbeiten als Richter oder Lehrer, sind Schüler oder Turnusärzte. Auch Eltern, ja sogar Kinder, rufen an.“ In fünf Stunden klingelt das Telefon etwa fünfundzwanzigmal. Rund um die Uhr ist die Zentrale unter der Notrufnummer 142 mit Ehrenamtlichen besetzt. Auch Onlineberatung wird in Form von Mail und Chat angeboten. „Meistens sind wir zu zweit. Jeder in einem eigenen Raum“, erzählt Marianne S. „Die Nachtdienste machen wir alleine.“ Für ruhige Nachtschichten steht eine Liege bereit. Etwa 80 ehrenamtlich Mitarbeitende hat die TelefonSeelsorge in Oberösterreich. Dazu kommen Hauptamtliche.
Ihre Ausbildung zur Telefonberaterin hat die 55-jährige Juristin im Jahr 2014 begonnen. Den Anstoß gab ein Bericht über die Arbeit der TelefonSeelsorge in der Zeitung. „Da habe ich gespürt: Das ist es“, meint sie und strahlt bei der Erinnerung. „Ich wollte etwas zurückgeben. Auf ähnlich anonyme Weise hat mir vor Jahren jemand sehr geholfen.“ Marianne S. ist Mutter von vier erwachsenen Kindern. Heute verdient sie ihr Geld als selbstständige diplomierte Ehe-, Familien- und Lebensberaterin. Das ergänzt sich gut mit ihrem Ehrenamt bei der TelefonSeelsorge – Notruf 142. Ihre Dienste zur Verfügung zu stellen, sieht sie als sinnvolles Nutzen ihrer freien Zeit. Gleichzeitig schätzt sie die Menschen, die sie dort trifft. „Die Kolleginnen und Kollegen, der Austausch, der achtsame Umgang miteinander, die liebevolle Freundlichkeit. Manche sind seit über 20 Jahren dabei“, erzählt sie.
14 Monate dauert die Ausbildung zur Telefonberaterin, die die Kirche aus den Einnahmen des Kirchenbeitrages finanziert. Im Gegenzug verpflichten sich die Auszubildenden zu vier Jahren ehrenamtlicher Mitarbeit. Mindestens 120 Stunden pro Jahr sollen es sein. Dazu kommen monatliche Supervision und jährliche Fortbildungen. Die Bewerberinnen und Bewerber werden sorgfältig ausgesucht. Sie lernen, Gespräche zu strukturieren und wie man mit Kindern am Telefon umgeht, Trauernden hilfreich ist, Eltern am Telefon unterstützen kann und welches soziale Netz es in Oberösterreich gibt. Außerdem alles über Krisen und mögliche Interventionen am Telefon. Und wie man selbst gesund bleibt. Dann oft kommen heftige Themen auf einen zu: Menschen mit Suizidgedanken, Krebsdiagnosen, drohende Delogierungen, ungewollte Schwangerschaften, Gewalt in der Familie, Selbsthass wegen der eigenen Gewalttätigkeit. Einsame Menschen rufen regelmäßig an. „Einfach, weil sie jemand erzählen wollen, wie ihr Tag gelaufen ist“, formuliert es Marianne S. „Das muss ich jetzt jemanden erzählen“, sagt auch schon der nächste Anrufende, „bitte hören Sie mir zu.“ „Gerne“, antwortet S. „Ich habe Zeit. Wie kann ich hilfreich für Sie sein?“
Die TelefonSeelsorge – Notruf 142 ist seit über 50 Jahren eine wichtige Erstanlaufstelle für seelische Krisen. Die Einrichtung der katholischen und evangelischen Kirche wird vom Sozialressort des Landes Oberösterreich unterstützt. Sie ist an allen Tagen des Jahres 24 Stunden lang kostenlos und vertraulich zu erreichen. Über 80 ehrenamtliche MitarbeiterInnen der TelefonSeelsorge – Notruf 142 sind in Oberösterreich rund um die Uhr für die Anliegen der Anrufenden da. Neben dem Notruf 142 bietet die TelefonSeelsorge OÖ auch das Elterntelefon 142 und Onlineberatung (per Mail oder Chat) an.
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