Ein Wort genügt
„Uff, das war knapp – hast du das gesehen? Das Motorrad wäre fast in den entgegenkommenden Wagen gedonnert!“, rufe ich entsetzt. Ich bin gerade mit meiner Freundin unterwegs. Wer von uns hat nicht schon einmal in so einem Moment die Luft angehalten und gehofft, dass es sich noch ausgeht.
„Weißt du, ich hab es nicht so mit dem Beten“, sagt meine Freundin. „Als Kind musste ich ja so vorformulierte Gebete hersagen. Irgendwann hat das nicht mehr für mich gepasst. Aber in so einem Moment schicke ich schon ein Stoßgebet in den Himmel.“
Sie erzählt von ihrem Arbeitsalltag. Krankenschwester auf einer Demenzstation. Eine Patientin kann sich nicht mehr ausdrücken, die Wortfindungsstörung ist bereits weit fortgeschritten. Wenn sie etwas nicht essen möchte, presst sie die Lippen fest zusammen oder beißt zu. „Das Elend dieser Frau berührt mich sehr, ich merke, wie Traurigkeit und Beklommenheit sich in mir breitmachen. Da wird mir so klar, wie begrenzt alle medizinischen und therapeutischen Möglichkeiten sind. Da kann ich dann auch nichts mehr sagen. Nur in Gedanken flehe ich Gott an, für diese Frau da zu sein.“
Ein solcher Moment des Innehaltens wirkt. „Ich hab dann wieder die Kraft, ein paar Worte an die Frau zu richten, ihren Blick zu suchen, mich ihr aufmunternd und mit Wohlwollen zuzuwenden.“ Und für einen winzigen Moment ist da ein Kontakt, die Blicke zweier Menschen begegnen einander.
Momente der Entscheidung
Es sind existenzielle Momente, in denen wir uns der Zerbrechlichkeit des Lebens bewusst werden. In Hundertstelsekunden entscheiden sich Schicksale, geht es um Leben oder Tod. Es sind Momente, in denen wir erleben, dass die gewohnte Machbarkeit an ein Ende kommt, in denen wir uns hilflos und ohnmächtig fühlen und wir dann Kraft bekommen zum Weitermachen.
Danke, Gott
Einige Zeit später bin ich wieder unterwegs. Nach der langen Covidphase endlich Urlaub. Zweifach geimpft, haben wir uns für einen Urlaub im Ausland entschieden. Heftig ist es, heiß und schwül, der Aufstieg war anstrengender als gedacht. Unsere kleine Gruppe klettert langsam nach oben, ich zumindest immer wieder um Luft ringend, achtsam einen Fuß vor den anderen setzend. Auf Geröll und rutschigen Steinen geht es nach oben.
Eine letzte Düne vor der Klippe, und dann ist die Sicht frei. Das Meer erstreckt sich in seiner Weite und Tiefe. Eine Fülle von Blau- und Grüntönen, weiße Gischt und das Schreien der Möwen. Die Sonnenstrahlen bringen das Wasser zum Glitzern. Voller Begeisterung strecke ich die Arme aus und bin dankbar. Für das Meer, die Sonne, das Geschenk der Freundesschar, dafür, dass ich es geschafft habe bis zu diesem Augenblick: „Danke, Gott.“ Es gibt sie, die Momente, in denen wir überwältigt werden. Von der Schönheit, der Lebenskraft, der Verbundenheit mit dieser Erde.
Ein Stammeln, eine Bitte, ein Dank
In besonderen Momenten von Angst, Not, Glück sind es oft keine wohlgesetzten Worte, sind es auch keine täglich genutzten Gebete und Formulierungen, die uns über die Lippen kommen. Es ist ein Stammeln oder ein „Bitte“, ein „Danke“, das wir an Gott richten. Es ist ein Sich-Verbinden mit dem offenen Himmel, in der Hoffnung und der Zuversicht, gehört zu werden ... ♦
Edeltraud Addy-Papelitzky ist Theologin, Psychotherapeutin und Leiterin des Diözesanen Personalservice Linz.
Dieser Beitrag ist erstmals in "Grüß Gott – Magazin über Gott und die Welt", Herbst 2021, erschienen.