„Ich verlasse mich auf meine Schutzengel“
Plötzlich ist die Zeit im Kriechgang und die Luft zum Atmen weg. Mit hundert Stundenkilometer knallt der Opel Corsa gegen den Baum. Die Überschläge beginnen – Viktoria Hojas und ihr Beifahrer sitzen noch im Rallyeauto. Ein Stoßgebet. Doch es geht den Hang hinunter. Erst nach hundertfünfzig Metern bleibt das Auto im Wald stecken. Zündung aus, Hauptschalter ab. Nix wie raus aus dem Corsa. Fahrerin und Beifahrer krabbeln eilige die Böschung hinauf. Beide wissen um die Gefahr von austretendem Treibstoff. Zum Glück entzündet sich das Auto nicht. Oben wartet schon die Streckenstreife. „Man hat uns im Ziel vermisst“, erzählt Viktoria Hojas. Das war 2015 im Schneebergland. Die Schmerzen sind erst später gekommen, als das Adrenalin nachgelassen hat. Geblieben sind Knochenbrüche und ein Trauma.
Die heute 32-Jährige ist Österreichs einzige Rallyefahrerin. Schon als kleines Mädchen faszinierte sie die Geschwindigkeit. „Bei fast jeder Familienfeier kommt irgendwann die Geschichte zur Sprache, wie ich auf der Autorückbank herumgeturnt bin – damals war das mit den Sicherheitsgurten noch nicht so streng – und meinen Papa angefeuert habe. Er ist dann auch schneller gefahren und meine Mama hat fürchterliche Angst gehabt.“ Sie erzählt es mit einem Lachen und sagt: „Der Papa ist grundsätzlich an allem schuld. Er hat mich mit dem Fieber angesteckt.“ Erfreut war er dennoch nicht, als Vicky Hojas im Jahr 2014 erstmals als Beifahrerin ins Rallyeauto stieg. Zu groß war die Angst um seine Tochter. Als er jedoch merkte, dass sie nicht klein beigeben würde, unterstütze er sie. Schon im Jahr darauf hatte Vicky Hojas die Hände selbst am Lenkrad und ihr Papa wurde ihr Teamchef. Gleich bei ihrer ersten Rallye überschlug sie sich spektakulär ins Ziel. „Aber das hinterließ keine Schäden bei mir“, meint Vicky Hojas achselzuckend. Nicht so der Abflug bei der Schneeberglandrallye nur eine Rallye später.
„Man schickt ein Stoßgebet: Wenn es dich da oben gibt, dann schau, dass wir noch einmal gut aussteigen können.“
Sie hat Alpträume und zweifelt an ihrem Können. „Ich bin in der Nacht schweißgebadet aufgewacht. Ich hatte Flashbacks und ich habe von Unfällen geträumt. Einmal ist der Papa geköpft auf dem Beifahrersitz gesessen. Allen meinen Familienmitgliedern haben ständig Gliedmaßen gefehlt. Das hat den Anstoß gegeben, die Sache ordentlich aufzuarbeiten.“ Sie holt sich professionelle Hilfe. Frenetisch schaut sie sich die Aufnahme der Bordkamera an. „Ich wollte wissen, was ich falsch gemacht habe, wie es zu dem Unfall kam.“ Es beruhigt sie, dass sie auch bei der dreihundertsten Wiederholung keinen richtig groben Fehler entdecken kann. „Ich habe aufgemacht“, beschreibt sie ihren Verarbeitungsprozess, „Ehrlichkeit war das Wichtigste. Ich war mir bewusst, dass mein Körper und mein Geist Zeit brauchten, um das zu verarbeiten. Dass ich Zeit brauchte, um wieder in meine Fähigkeiten vertrauen zu können.“ Ihre Familie ist ihr in dieser Zeit eine große Stütze. Aufgeben war nie eine Option. „Aufgegeben wird ein Brief.“ Dreieinhalb Monate später sitzt sie im hergerichteten Corsa und geht an den Start einer Rallye. „Ich verlass mich auf meinen Schutzengel“, sagt sie.
„Man sagt: Da hab ich aber eine Menge Schutzengel gehabt.“
Seitdem sind drei Saisonen vergangen. 2016 holten Viktoria Hojas und ihre damalige Beifahrerin im Opel-Corsa-Cup den Vizemeistertitel. „Doch mein größter Erfolg ist, dass ich es geschafft habe, wieder einzusteigen“, meint sie. Was hat sich seit dem Unfall verändert? „Ich wähle öfter einen früheren Bremspunkt. Ich versuche nun, mich meinen Zielen von unten zu nähern, mein Können schrittweise zu steigern und so das Risiko zu minimieren.“ Auch die Verantwortung ist gewachsen. Seit dem Tod ihres Vaters leitet sie das Autohaus mit achtzehn Mitarbeitern. Trotzdem kann sie es nicht lassen, ihren Corsa fliegen zu lassen. „2019 gönne ich mir ein Schotterjahr“, erzählt sie begeistert, „Schotter ist einfach mein liebster Untergrund. Es gibt nichts Besseres wie ein Auto, das abhebt, und dieses Gefühl, wenn der Magen ein bisserl oben hängen bleibt.“